Friedensgefahr Energiewende

Wie eng der Frieden und die Energiefrage zusammenhängen, zeigte sich kürzlich auch in der Ukraine.

Bisher fast unbemerkt von den deutschsprachigen Medien tagte dort mitte Oktober das sechste Internationale Forum zu erneuerbaren Energien und Energieeffizienz in Kiev.

Die Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern anderer Länder wird also in der Ukraine nicht nur wahrgenommen, sondern auch konstruktiv mit den westlichen Partnern thematisiert. Konkret wird von der ukrainischen Regierung der Ausbau von regenerativen Energiequellen angestrebt, vermutlich in Ermangelung jedweder kurzfristiger Gaslieferungen durch den ja selbst gasarmen Westen. Wird vielleicht im ukrainischen Osten am Ende nicht um das Land, sondern vielmehr um die dort vorhandenen Kohlevorkommen gekämpft? Das so oft zitierte Flüssiggas per Kühltanker aus den USA ist wohl eher eine theoretische Möglichkeit in der Zukunft als eine griffbereite Lieferalternative zum Pipelinegas aus Russland, da die Exportkapazitäten der USA, was Flüssiggas angeht, schlichtweg derzeit nicht vorhanden sind, abgesehen von einem kleinen und alten Terminal in Alaska. Somit können nur die regenerativen Energien die Gasabhängigkeit vom momentan unliebsamen Russland in absehbarer Zeit aufheben.

Wie viel konstruktiver könnte das Thema wohl angegangen werden, würde man alle seine Nachbarn mit in die Lösungsfindung einbeziehen? Denn während man in der EU folgsam verschiedene Sanktionen zum Beziehungsabbau zwischen der EU und Russland ausgesprochen hat, ist dabei irgendwann vermutlich irgendjemandem aufgefallen, dass Russland mit seinen energietragenden Rohstoffen speziell im Winter eine wichtige Zuliefererfunktion zukommt. Und das nicht nur beim Gas, sondern genauso bei Öl und Kohle.

Denn wenn an Weihnachten die Menschen in Zentraleuropa mit dem Schal vor dem Weihnachstbaum sitzen müssten, dann müssten sich manche Leute zur Neujahrsansprache umso wärmer anziehen, als ob es nicht schon genug herunterzuspielen gäbe. Wie beispielsweise die Erosion der Bürgerrechte in der Mitte Europas und die zunehmend alltägliche Verletzungen von Menschenrechten an der europäischen Peripherie im Osten und Süden durch aufgezwungene Bürgerkriege, entwürdigende Sparprogramme und unmenschliche Grenzpolitik beispielsweise.

Doch zurück zur Energie: Das zunächst so rettend erschienene Fracking - warum sind wir da eigentlich nicht selbst schon viel früher drauf gekommen, wenn das so super ist?! - entpuppt sich im Spitzenreiterland USA immer mehr als energiearmer Rohrkrepierer. Was als ein tiefes Meer von Energie unbegrenzter Ausmasse unter der unscheinbaren Oberfläche erschien, zeigt sich immer mehr als seichte Pfütze mit wenig Tiefgang.

Nach einer Studie der Energy Watch Group vom April 2014, wurde dort das Peak Fracking, also das Fördermaximum beim Fracking, bereits 2012 durchlaufen und der Beitrag zur Gasbilanz sinkt seither genauso drastisch, wie zu Zeiten des euphorischen Ausbaus der nachhaltig umweltzerstörenden Förderinfrastruktur in den Jahren vor 2012. Was bleibt sind bisher unfassbare Umweltschäden. Doch nicht nur in Nordamerika sinkt der Druck auf den Gasleitungen.

Zehn Jahre vorher, also in den frühen 2000er Jahren, erreichte die europäische Gasgewinnung bereits ihren Höhepunkt und ist seitdem ebenso rückläufig. Die Erdgasförderung der russischen Gazprom stagnierte dagegen bereits Anfang der neunziger Jahre. Grosser Vorteil der Russen: Im internationalen Vergleich fällt der Rückgang der Fördermenge bisher am niedrigsten aus. Sprich, das beste Pferd im Rennen ist also inzwischen das, das am langsamsten langsamer wird. Willkommen im 21. Jahrhundert.

Die Analyse der deutschen Energy Watch Group zeigt klar: der Fracking Hype ist nichts als ein letztes, verzweifeltes Tässchen Cappuccino am Ende einer langen Partynacht. Denn die wohlgenährte Petroindustrie ist in Wahrheit müde und abgerockt von ihrer langen Feier im Penthouse der Weltökonomie hoch über dem Boden der Tatsachen.

Noch unbemerkt von den angrenzenden Industriebranchen, wie beispielsweise der Energiewirtschaft und ihren in Stein gemeisselten Geschäftsmodellen, dämmert am Ende der dunklen Kohle- und Ölnacht bereits der Morgen am Horizont. Denn regenerative Kraftwerke zur Erschliessung von Sonne und Wind boomen auf der ganzen Welt. Auf der ganzen Welt? Nein! Ein kleines Land in Europa leistet entgegen dem Willen seiner Bevölkerung erbitterten Widerstand.

Die Bürger in Deutschland wollen mehrheitlich die Energiewende. So mehrheitlich, dass sie im Parlament die Verfassung damit ändern könnten, da die hierfür notwendige Zweidrittelmehrheit seit Jahren konstant und deutlich überschritten wird. Fakt. Aber die Verfassung müsste ja gar nicht geändert werden, die Energiewende ist ja nichts illegales. Und das wissen die Menschen und lassen sich nicht mehr davon abbringen, trotz industriefinanzierter Hetze gegen die Energiewende in den Medien und auf der Strasse.

Spätestens seit der Entscheidung für Genmais wissen wir, dass eine Mehrheit im Volk nicht für eine aktive Vertretung dieses Wählerwunsches durch diese deutsche Regierung ausreicht. Die Lobbykarte sticht. Sollte am Ende die Einsicht in die friedensstiftende Eigenschaft der regenerativen Energien vor dem Hintergrund der internationalen Ölbeschaffungskriminalität langsam doch um sich greifen?

Denn pünktlich zum weltweiten Boom der zumindest theoretisch CO2-neutralen Solar- und Windenergie, ist der gewaltsame Abbruch der Technologieführung auf dem weltweiten Solarzellenmarkt und die politisch gewollte Abwicklung der Solarzellenbranche, wie sie 2010 in Deutschland begonnen wurde, inzwischen beinahe abgeschlossen und damit unumkehrbar. Die Firmen sind pleite, verkauft oder weggezogen.

Während der Solarzellenabsatz in Ländern wie China und den USA inzwischen boomt, ging allein von 2013 auf 2014 der deutsche Solarausbau um mehr als ein Drittel zurück. Dies liegt darin begründet, dass die Interessen anpassungsunfähiger Branchenriesen politisch und medial ohne Rücksicht durchgesetzt wurden und werden: Kurzfristiger, betriebswirtschaftlicher Bestandsschutz vor langfristiger, volkswirtschaftlicher Zukunftsfähigkeit.

Ob sich die Bewahrung der veralteten Energiebranche vor den Zeichen der Zeit wohl auf Dauer nicht als grosser Fehler herausstellen wird? Welches Marktpotential hätte sich vielleicht entfaltet, hätten die Energieriesen ihren infantilen Rollenkonflikt in Anbetracht globaler Veränderungen hinter sich lassen können und im Schulterschluss mit der regenerativen Avantgarde die globale Energiewende Made in Germany ausgerollt? Nein, stattdessen lassen sich Bürger und Politiker, als auch die alte Industrie und die neue Industrie weitgehend dialogfrei gegeneinander ausspielen. Und das ist dann abendländische Hochkultur und alle sind erwachsene Menschen mit Verantwortung für die zukünftigen Generationen. Ja genau.

Wenn sogar eines der immer noch ölreichsten Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate nun eine regenerativ versorgte Stadt aufbauen, zeigt das nicht nur ein Einsehen in die Notwendigkeit für eine langfristige Lösung des Energieproblems, sondern vielleicht auch einen gewaltfreien Ansatz zur Konfliktvermeidung in Anbetracht der einsichtsfreien und gewaltbereiten Öljunkies dieser Welt?

Ist es einem Bürger wirklich nicht zuzumuten, dass weltweit die Energiepreise steigen, weil immer weniger Energie auf immer mehr Menschen verteilt werden muss, und dieser Umstand mehr zur Strompreiserhöhung beiträgt als irgendeine Regierung jemals gesetzlich bremsen kann? Stimmt es, dass das neue Atomkraftwerk Hinkley Point C in England gesetzlich verankert wirklich doppelt soviel staatliche Einspeisevergütung bekommt, wie ein neues Windrad in Deutschland, weil der Betrieb sonst nicht wirtschaftlich wäre? Und warum verstand nicht einmal der deutsche Solarpapst Hermann Scheer zwei Wochen vor seinem Tod, warum landesweit nur ein Kernkraftwerk gegen den grössten anzunehmenden Unfall versichert sein muss?

Tschernobyl, Fukushima und alle Kriege um Ressourcen weltweit zeigen: Vielleicht ist es langfristig nicht so wichtig, wer im nächsten Quartal Gewinnsteigerungen hat oder Gewinneinbrüche. Vielleicht ist es langfristig auch nicht so wichtig, ob die Ökoabgaben unserer Energiepreise nun zu hoch sind oder nicht. Vielleicht ist langfristig nicht einmal so wichtig, ob es einen Klimawandel tatsächlich gibt oder nicht. Langfristig wichtig könnte in all diesen Fällen jedoch sein, ob Sie heute als erwachsener Mensch in einer Zeit der Veränderung persönliche Verantwortung übernehmen wollen oder nicht. Oder wollen wir hier im sauberen und sicheren Zentraleuropa unsere eigene Anpassung an die globale Veränderung genauso auslagern, wie beispielsweise die unrentablen Tätigkeiten fast der ganzen Textilbranche an billige Arbeitskräfte in Asien?

Eine Gruppe von Bürgern und Unternehmen sieht das nicht so und begann bereits letztes Jahr damit, Verantwortung zu übernehmen und die Energiewende in Eigenregie fortzusetzen. Im Vorstand des Bündnis Bürgerenergie e.V. sitzt Dr. Michael Sladek und er unterstreicht dieses Anliegen auf dem Konvent der Initiative am 18. Oktober in Fulda mit Nachdruck und ruft dazu auf, die Energiewende nicht von staatliche Finanzhilfen abhängig zu machen, zu wichtig sei das Ziel. Von einer energiemündigen Minderheit kann man inzwischen auch ohne mediale Beachtung nicht mehr sprechen, denn nach Dr. Thomas Banning, Vorstandsvorsitzender des Bündnisses, haben sich bereits 1,5 Millionen Bürger in Deutschland bis 2014 auf verschiedenste Weisen finanziell und damit direkt an der Energiewende beteiligt.

Sogar die klamme Regierung in der umkämpften Ukraine kümmert sich mit ihrem internationalen Forum zu erneuerbaren Energien am 15. Oktober kurz vor der unsichersten Heizperioden der jüngeren ukrainischen Geschichte ernsthaft um zukunftsfähige Lösungen. Was hindert uns im noch warmen Wohnzimmer daran, uns über den Winter zu diesem Thema auch mal Gedanken zu machen?

Michael Gorbatschow ermutigte auch Sie bereits am 10. Dezember 2011 in München zur gemeinsamen Verantwortung und zur gewaltlosen Lösung der Probleme und sagte: ‘Niemand kann sich mehr verstecken.’

  1. REF 2014, Kiev, Ukraine http://www.energyforumua.com/

  2. Umfrage-Ergebnisse der TNS Emnid Umfrage \u201cBürger-Energiewende\u201d, 03.10.2013 http://www.die-buergerenergiewende.de/wp-content/force-download.php?file=uploads/2014/01/emnid-umfrage.pdf

  3. Energy Watch Group, Diversifizierung von Erdgasimporten ist ein Luftschloss / Analyse der Energy Watch Group zeigt, Energieunabhängigkeit von Russland ist nur mit erneuerbaren Energien möglich, 15.04.2014 http://energywatchgroup.org/diversifizierung-von-erdgasimporten-ist-ein-luftschloss-analyse-der-energy-watch-group-zeigt-energieunabhaengigkeit-von-russland-ist-nur-mit-erneuerbaren-energien-moeglich/

  4. Masdar City, Vereinigte Arabische Emirate http://www.masdar.ae/en/#city/all

  5. Hermann Scheer im Bundestag 14 Tage vor seinem plötzlichen Tod https://www.youtube.com/watch?v=XU0MJwdlbUE

  6. Bürgerenergie Konvent 2014, Fulda, Deutschland http://www.buendnis-buergerenergie.de/konvent/

  7. Comparing the Cost of Low-Carbon Technologies: What is the Cheapest Option?, An analysis of new wind, solar, nuclear and CCS based on current support schemes in the UK and Germany, Agora Energiewende, 2014 http://www.agora-energiewende.de/fileadmin/downloads/publikationen/Analysen/Comparing_Costs_of_Decarbonisationtechnologies/Agora_Analysis_Decarbonisationtechnologies_web_final..pdf

  8. Michael Gorbatschow ermutigt zur Verantwortung, München, 10.12.2011 https://www.youtube.com/watch?v=lKhGdJRh9-E