Prof. Angelika Zahrnt im Interview auf die Frage: Braucht man Mut?

Prof. Angelika Zahrnt zum Spannungsfeld zwischen Unauffälligkeit und Avantgarde, Imagefragen und Selbstbestätigung durch vergessen geglaubte Fertigkeiten.

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Transkript: “Klar. Es ist unauffällig einzukaufen, das anzuziehen, was alle andere auch machen, die gleichen Urlaubsziele zu haben, die Karriereleiter hochzuklettern und über das neue Auto zu reden und so. Das ist unauffällig, beziehungsweise man kann phasenweise ein stückweit punkten gegenüber anderen, die vielleicht noch nicht das neue iPad haben oder sonstwas. Und wenn man dann da sagt, es ist mir ehrlichgesagt gar nicht so wichtig, ob ich den Anzug von Soundso habe, ich kaufe eher im Second Hand Laden, also, da wird man in einer gewissen Umgebung wahrscheinlich schon zunächst mal ein bisschen schräg angesehen werden. Aber das ändert sich. Also vor 20 Jahren sind die ersten Leute, die Ministerialdirektor waren, mit Fahrrad und einer Fahrradklemme ins Büro gefahren in Berlin, da kuckte man auch noch etwas verwundert. Und heute fahren die mit einer Lässigkeit und Selbstverständlichkeit und einem Selbstbewußtsein mit dem Fahrrad und erwarten auch, dass in den entsprechenden Büros Einrichtungen sind, daß man sich halt vorher duschen kann, wenns mal geschüttet hat oder wenns 30 °C hat. Das hat sich geändert, das Image. Und es gehört nicht mehr soviel Mut dazu zu sagen, also ich hab mein Auto jetzt abgeschafft oder wir machen keine große Reise in diesem Jahr, ich habe vor da irgendeinen Kurs zu machen, oder ich mach mal Musik oder dergleichen. Also da ist ein gewisser Umschwung da, der noch nicht die Masse erreicht hat, aber man merkt das auch sowohl am Büchermarkt, wie auch im Fernsehen solche Sendungen auch, Sie brauchen Ihre Marmelade nicht zu kaufen, sondern hier haben wir in der Sendung kurz nach dem Morgenmagazin die Tips, nicht nur wie die Oma das gemacht hat, sondern wie das heute meine Freundin sowieso macht. Also solche Fertigkeiten, die man eigentlich schon vergessen glaubte, wie Marmelade kochen, Gemüse haltbar machen, Pilze sammeln, und sowas, das ist auf einmal wieder ganz attraktiv. Und die Leute haben eben auch die Erfahrung und reden darüber, das ist ja etwas ganz anderes wenn ich da den Nachmittag im Wald rumgelaufen bin und tatsächlich ein paar Pilze gefunden habe und inzwischen durch meinen Pilzkurs auch sicher bin, daß die mir nichts böses tun und daß ich mir abends da ein Pilzragout gemacht habe, daß das mehr bringt, als wenn ich da die Pilze aus der Dose mir genommen habe, die Champignons oder sowas, daß das ein Gesamterleben ist, und das dieser Konsum doch was ziemlich reduziertes ist. Ins Regal gehen, kaufen, auspacken, verbrauchen, fertig. Wenn ichs dann noch selber koche, hats ja auch schon was, aber bei Tiefkühlkost nur praktisch, nur zeitsparend, irgendwann fragt man sich: Wozu? Und von daher denke ich, daß dieses Reparieren auch ein stückweit Selbstbestätigung sein kann. Nicht nur die Bestätigung, daß ich das in den richtigen Abfallkorb oder in die richtige Abfallsammlung einsortiert habe, sondern daß es mir tatsächlich gelungen ist, daß das Ding wieder läuft und noch ne Weile seinen Dienst tut und daß ich mir nicht nen Laden dazu aussuchen musste, sondern daß ich das selbst hingekriegt habe. Das hat was.”