Dipl.-Ing. Wilhelmina Katzschmann im Interview zur Bolognareform und zu Frauen im Ingenieurberuf

WK: Mein Name ist Wilhelmina Katzschmann und ich bin Elektroingenieurin und leite ein Büro für technische Gebäudeausrüstung. Mein Büro ist bereits 48 Jahre alt und ich habe es 1995 von dem Gründer des Büros übernommen. Wir hatten schon immer jeweils eine Niederlassung in Ludwigshafen und eine in Mannheim gehabt und somit sind wir länderübergreifend in der Metropolregion Rhein-Neckar tätig.

RE: Vermutlich war es zu Ihrer Studienzeit noch unüblicher als Frau ein Ingenieurstudium aufzunehmen als heute. Kann das sein?

WK: Genau richtig. Studiert habe ich Ende der Siebziger. Sicher war ich da als Frau alleine im ganzen Semester mit insgesamt 70-80 Leuten. Nun, sie fragen sich sicherlich, wie kam ich zu diesem Beruf. Es war eine Ausschlußbildung. Ich wusste, was ich nicht wollte, denn diese klassischen Frauenberufe haben mir überhaupt nicht zugesagt. Und weil ich schon immer für Mathematik, Physik und die ganzen Naturwissenschaften einen Hang hatte, hat man mir nahegelegt, einen Ingenieurberuf zu erlernen. Man hat in der Zeit noch Lehre gemacht, also Feilen, Bohren, Fräsen von der Pike auf, und dann habe ich Elektrotechnik studiert.

RE: War das für Sie als Frau eine andere Erfahrung während dem Studium, als für ihre männlichen Kommilitonen?

WK: Während dem Studium hatte ich nie das Gefühl, irgendein Exot zu sein. Insbesondere vor dem Hintergrund der 68er und der Emanzipationsbewegung habe ich nie eine Besonderheit bemerkt.

RE: Warum studieren so wenige Frauen den Ingenieurberuf?

WK: Damals habe ich eben deshalb einen Artikel veröffentlicht und wir haben im Verband einen Arbeitskreis ‘Frauen im Ingenieurberuf’ gegründet. Damals haben wir dem Arbeitskreis das Ziel gegeben, solange zu bestehen bis wir genügend Frauen für diesen Beruf begeistern können.

RE: Besteht dieser Arbeitskreis heute noch?

WK: Dieser Arbeitskreis besteht heute noch! (lacht) Das hätte ich nie, nie erwartet. Ich hätte vielmehr erwartet, dass sich daran durch die Emanzipationsbewegung etwas ändert. Aber gehen Sie heute mal an die Ingenieurschulen für Maschinenbau oder Elektrotechnik. Der Anteil an Frauen in den sogenannten ‘harten’ Ingenieurfächern ist leider nicht höher geworden.

RE: An diesem Umstand hat nichteinmal Bologna, also die Umstellung vom Diplom auf Bachelor und Master, etwas geändert?

WK: Dazu liegen mir noch keine Zahlen vor, das ist zu neu. Mit Bologna haben wir ganz andere Probleme.

RE: Welche denn?

WK: Speziell jetzt für die Baubranche gesprochen, also Ingenieure der Elektrotechnik, der Versorgungstechnik, Heizungs- und Klimatechniker oder Statiker, das sind ja die typischen Ingenieure, die Sie auf dem Bau finden. Und in den früheren Ingenieurschulen waren die Studenten am Anfang des Studiums älter, weil man damals vorher noch eine Lehre gemacht hat. Heute sind sie am Anfang des Studiums auch älter, aber weil sie vielleicht ein Jahr im Outback in Australien waren.

RE: Die Wehrpflicht gab es damals auch noch.

WK: Stimmt, meine Kommilitonen waren ja alle vor dem Studium noch bei der Bundeswehr damals. Jedenfalls waren die Leute wesentlich besser praktisch vorgebildet. Ich möchte auch behaupten, dass wir auch in Mathematik und Physik einen besseren Bildungsstand erreicht haben damals, im Vergleich zu heute. Ich sehe das insbesondere durch meine Lehrtätigkeit an der dualen Hochschule und sehe ja die Abiturienten, die ich da vor mir habe. Die Jugend kann schließlich nichts dafür, wenn sie nicht mehr von der Schule mitbekommt. Aber dadurch müssen die ersten Vorlesungen durch die Vermittlung von Grundlagen der Mathematik und Physik aufgewendet werden.

Die Bolognareform hat ganz speziell für die Ingenieure in der Baubranche nur Negatives gebracht, weil wir keine Leute haben, die Praxiserfahrung haben. Wir haben Leute die haben fünf Semester studiert, das sechste Semester ist ja dann die Bachelorarbeit. Die Absolventen kommen dann in die Büros und wir fangen bei allem bei Null an. Wenn sie einen Master machen, dann haben sie etwas mehr Wissen, aber eben nur auf einem ganz bestimmten Gebiet. Das ist ja nicht mehr so, wie wenn sie früher an der Uni einen Diplom-Ingenieur gemacht haben, weil damals hatten sie im Vorstudium gute Grundlagen und dann haben sie im Hauptstudium auch Elektrotechnik und Maschinenbau gelernt. Und das haben wir leider heute nicht mehr. Wir kämpfen in der Branche mit den Ergebnissen der Bolognareform und wir haben deshalb ein Klartext Papier zu dieser Bachelor- und Masterausbildung und den damit im Zusammenhang stehenden Problemen veröffentlicht. Ich würde die Universitäten, die den Diplom-Ingenieur zurückhaben wollen, in vollem Umfang unterstützen. Wie schlecht es steht, merke auch ich hautnah in meinem Ingenieurbüro. Ich hole Jungingenieure bereits über die Bachelor- oder Masterarbeit herein. Die ersten zwei Jahre können die überhaupt keine Projektarbeit machen, unmöglich. Die sitzen im Büro und machen Zuarbeit, Sachbearbeitung und sind teilweise weniger qualifiziert wie ein technischer Zeichner, der natürlich eine ganz andere Grundausbildung hat.

RE: Die klassischen Ausbildungen sind durch Bologna nicht betroffen?

WK: Genau. Der technische Zeichner hat die klassische Ausbildung, dreieinhalb Jahre Lehre nach der mittleren Reife oder Abitur. Ich habe auch Zeichner, die bilden wir selbst aus. Doch um zurückzukommen auf die Bolognaabsolventen: Nach zwei bis drei Jahren fangen sie dann bei mir an Projektgeschäft zu machen. Und dann ist es ja heute modern, jeder Karriereberater wird Ihnen das bestätigen, nach vier oder fünf Jahren die Firma zu wechseln. Das heisst, diese Mitarbeiter haben während ihrer Zeit bei mir im Ingenieurbüro kein einziges Projekt abgeschlossen bevor sie gehen. Und dann fange ich wieder von vorne an.

RE: Wie zukunftsfähig ist der deutsche Ingenieur noch?

WK: Die Bolognareform muss zumindest aus Sicht der Ingenieure, die in der Baubranche tätig sind, dringend überdacht werden. Wenn sich nichts ändert würde ich jedem Studieninteressierten raten, doch eine Lehre vor dem Studium zu machen. Mit so einer Ausbildung hat man auch langfristig die besseren Berufschancen, denn wer weiss schon was in 20 oder 30 Jahren ist. Ich würde also generell dazu raten zuerst die Lehre zu machen, um danach zu studieren. Zumindest in der Baubranche führt das zu schnelleren Aufstiegschancen.
In meiner Branche kann man derzeit gut Geld verdienen, da es einen richtigen Mangel an praktischen Ingenieuren gibt. Wir werden in der technischen Gebäudeausrüstung und bei den Statikern richtig Probleme bekommen in Deutschland. Sie können sich das nicht vorstellen. Mein Büro allein könnte wesentlich mehr Aufträge annehmen, wenn wir mehr Personal hätten. Jeden zweiten Auftrag muss ich derzeit ablehnen und teilweise gehen diese Projekte dann ins Ausland. Die Branche braucht dringend qualifizierten Nachwuchs. Deshalb wäre eine dem Bolognastudium vorgeschaltete Lehre aus meiner Sicht ein Ausweg aus dieser Situation. Und dann wird es auch mit der Karriere und dem beruflichen Erfolg schneller gehen.

RE: Haben die Ausbildungsberufe also durch den Bolognaprozess indirekt eine Aufwertung erfahren?

WK: Ja, genau. Ich kann die Jugend darüberhinaus nur ermutigen in die ‘harten’ Fächer zu gehen, weil man damit ganz allgemein die besten Berufschancen überhaupt hat. Zu meiner Zeit gab es ungefähr 200 Ingenieurarten. Heute gibt es circa 3000 Ingenieurarten. Das sind Zahlen der Universität Mainz. So stark hat die Spezialisierung der Ingenieure zugenommen. Wenn sie ein fundiertes, allgemeines Studium gemacht haben, können sie sich während Ihrer Karriere auch neuen technischen Trends viel leichter anpassen. Vor 30 Jahren gab es Branchen, die gibt es heute gar nicht mehr.

RE: Also besser Generalist als Spezialist?

WK: Das Problem ist, wir haben heute Spezialisten ohne Grundlagen. Andererseits haben wir dieses fünf- oder sechssemestrige Studium ja schon lange in den USA. Nur in den USA kommt im Anschluss dann ein Praktikum oder mehrere Praktika. Bei uns erfolgt anstatt der Praktika sofort der Berufseinstieg. Möglicherweise wäre das auch für uns hier eine geeignete Anpassung unseres derzeitigen Systems. Das heisst, sie machen die Praktika dann eben nachher anstatt der Lehre vorher.

Und vielleicht noch als Rat für die Damen: Man erfährt als Frau im Ingenieurberuf eine besondere Anerkennung. Das zeigt sich für mich daran, dass die männlichen Kollegen mit den weiblichen Kollegen respektvoller umgehen, als untereinander.

Aber nicht nur deshalb bin ich glücklich in meinem Beruf.

RE: Vielen Dank für dieses Interview.

WK: Gerne.