Empfehlung: 3sat Interview mit Prof. Stephan Lessenich zur Externalisierungsgesellschaft

“Neben uns die Sintflut - Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis” heisst das neue Buch von Prof. Stephan Lessenich, das er mit Eva Schmidt in diesem sehenswerten Interview auf der Buchmesse in Frankfurt bespricht (das Buch ist auch als Hörbuch erhältlich). Das Interview kann über diesen externen Link zur Mediathek von 3sat dort aufgerufen werden:

http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=62230

Zur Inklusion aller Leser/innen folgt ein Transkript:

ES: ‘Wir leben nicht über unsere Verhältnisse, wir leben über die Verhältnisse anderer’, sagt der Soziologe Stephan Lessenich. Die reichen, hochindustrialisierten Länder der Welt lagern die negativen Effekte ihres Handelns in ärmere Regionen der Welt aus. Und dieses Leben auf Kosten anderer nennt der Soziologe Stephan Lessenich ‘Externalisierung’. Und dazu hat er ein neues Buch geschrieben: ‘Neben uns die Sintflut’. Es ist im Hanser Verlag erschienen. Und ich freue mich, dass Stephan Lessenich heute bei uns zu Gast ist. Willkommen Herr Lessenich.

SL: Hallo Frau Schmidt.

ES: Ja, sie analysieren die Beziehung zwischen reichen und armen Staaten, sprechen sogar von einer Art Paartherapie. Nun ist es eigentlich hinlänglich bekannt, das reiche Staaten auf Kosten armer Staaten leben. Sie sagen selber in Ihrem Buch: Das weiss jedes Kind. Warum brauchen wir dann aktuell, ein Buch wie Ihres?

SL: Es könnte zumindest jedes Kind das wissen. Ich weiss nicht, ob jedes Kind das weiss. Ich weiss auch nicht, ob die Durchschnittsbürgerin das weiss. Ich glaube wir brauchen das Buch, weil wir in einer Gesellschaft leben und unter gesellschaftlichen Verhältnissen, wo wir in der Lage sind, dieses Wissen auszublenden und zu verdrängen. Wir müssen es nicht wissen. Wir bekommen es zwar manchmal zu sehen, beispielsweise war die Fluchtmigration des letzten Jahres ein Anlass bei dem wir gesehen haben, wie es ausserhalb unserer Grenzen aussieht. Unter welchen Lebensverhältnissen anderswo, in anderen Weltregionen Menschen ihr Leben fristen müssen, was sie dann zur Flucht treibt. Aber wir müssen das in unserem Alltag nicht zur Kenntnis nehmen, wir können das ganz gut ausblenden und ich halte in dem Buch dafür, dass das auch eine Form von Macht ist. Eine Machtposition nämlich in einer Gesellschaft, in einer sozialen Lage zu leben, wo man die Not und das Elend anderer nicht zur Kenntnis nehmen muss.

ES: Der Untertitel Ihres Buches heisst ‘die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis’. Was ist denn ihr Preis Ihrer Meinung nach?

SL: Das ist ja die Grundidee, dass der Preis woanders anfällt, also dass wir externalisieren, heisst: auslagern. Wir lagern beispielsweise schmutzige Produktion aus in Drittstaaten. Wir lagern schlechte Arbeit aus. Wir bekommen das manchmal dann zu sehen, wenn in Bangladesh dann Textilfabriken abbrennen und 1000 oder vielleicht auch nur 25 Personen dort sterben. Wir lagern beispielsweise den Flächenbedarf für landwirtschaftliche Produkte aus, die wir konsumieren. Die werden nicht hier angebaut, sondern in Lateinamerika mit einem riesen Pestizideinsatz. Das heisst, wir lagern aus, und die Kosten dieser Auslagerung entstehen an anderer Stelle, nicht bei uns zuhause. Das ist im Wesentlichen der Preis. Den sozialen, den ökonomischen, den ökologischen Preis unserer Arbeitsweise, unserer Produktionsweise, unserer Lebensweise zahlen andere. Und das Buch macht aber auch das Argument, dass es durchaus möglich ist, dass in Zukunft wir auch stärker herangezogen werden, und dafür bezahlen müssen, wie wir leben und wie wir andere leben lassen.

ES: Das ist der Ausblick in Ihrem Buch. Sie sagen, wir sehen die Kriege und Konflikte und es kommt auf uns zurück. Wie stellen Sie sich das denn vor, was wird da auf uns zurückkommen?

SL: Ich glaube, das dass, was wir im letzten Jahr erlebt haben - 1,1 Millionen Flüchtlinge hiess es erst, dann nachher wurde es auf 900 Tausend reduziert, war aber keine große Nachricht mehr wert - dass wir erlebt haben, dass Menschen vor Krieg, vor Ressourcenkonflikten, vor Armut, vor Not, oder auch nur vor Chancenlosigkeit fliehen, und ihre Heimat verlassen, und zwar massenhaft. Das werden wir in Zukunft glaube ich weiterhin erleben. Bei all den Bemühungen, die angestellt werden politisch, unseren Sozialraum zu schützen davor und abzuschliessen, wird das weiterhin der Fall sein. Und auch die ökologischen Kosten werden zunehmend auf uns zurückschlagen. Einstweilen sind wir in der Lage hier mit sehr großem, ökologischem Fußabdruck zu leben und dennoch die Umweltschäden woanders anfallen zu lassen. Und der Klimawandel hat derzeit seine stärksten Effekte ausserhalb unserer Grenzen. Aber auch der Klimawandel wird potentiell auf uns zurückschlagen. Das wird nicht mehr allzulange dauern. Wir merken es manchmal schon mit Starkregenereignissen oder Wirbelstürmen oder veränderten Wetterverhältnissen. Das wird zunehmen. Das heisst, seit dem wir in einer Welt leben, in einer Welt des Kapitalismus, steigen auch die Chancen, dass der Preis nicht nur irgendwoanders anfällt, sondern auf uns zurückgeführt wird.

ES: Ja, Sie schreiben: ‘Wir externalisieren, weil wir’s können, aber: in gewisser Weise externalisieren wir auch, weil wir nicht anders können. Weil soziale Mechanismen uns dazu treiben, weil die verallgemeinerten Praktiken unserer sozialen Umwelt uns dazu veranlassen’, schreiben Sie wörtlich.

SL: Ja.

ES: Das ist ja genau der entscheidende Punkt. Wir reden ja hier über Jahrhunderte gewachsener Wirtschaftsstrukturen. Wie sollen wir die denn verändern?

SL: Es ist in der Tat wichtig zu sehen, dass Externalisierung und Externalisierungsgesellschaft, dieses hübsche, knappe, soziologische Wort nicht nur die Gegenwartsgesellschaft beschreibt auf eine Weise, sondern dass sich das über Jahrzehnte, ja, Jahrhunderte entwickelt hat. Das fängt mit der Kolonialgeschichte an, wo auch schon Gewalt ausgelagert wurde. Dass wir unsere Gesellschaften befriedet haben, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass wir in andere Gesellschaften Gewalt und Zwang, Zwangsverhältnisse getragen haben. Das hat eine lange Geschichte. Der Imperialismus des späten 19. Jahrhunderts, des frühen 20. Jahrhunderts waren nochmal Hochphasen. Und heute hat das weniger gewaltförmige, stärker verrechtlichte Gestalt. Aber wir müssen sehen, dass das lange gewachsen ist und dass unsere Gesellschaft so eingerichtet ist, in allen ihren Institutionen. Auch unsere wirtschaftlichen Institutionen sind so geartet, dass wir damit leben, dass wir produzieren und konsumieren auf eine Weise, wo andere einen Großteil der Kosten tragen. Das heisst, wenn ich jetzt sage: wir alle sind Teil des Problems, dann soll das nicht nur eine Schelte mit jedem einzelnen sein, und irgendwie mit dem Moralfinger zeigen. Sondern wir müssen uns auch klarwerden, dass wir die Einrichtung dieser Gesellschaft, also wie Wirtschaft funktioniert, wie der Welthandel organisiert ist, wie wir konsumieren, dass wir Strukturen verändern müssen. Das heisst, es geht nicht nur um die Veränderung von individuellen Verhaltensweisen, mal weniger Fleisch zu essen oder auf die Produktionsbedingungen der Kleidung zu achten, die man trägt, sondern es geht wirklich darum sich klar zu machen, es sind Strukturen, die dazu führen. Und wir haben als einzelne relativ geringe Möglichkeiten, es zu verändern, wenn wir nur als Konsumenten handeln. Aber wir haben gemeinsam schon die Möglichkeit, nämlich durch kollektives Handeln und, ich würde sagen, Politisierung der Frage.

ES: Sie sprechen es an, es reicht nicht, an der Kleidung etwas zu verändern. Das ist ja ein springender Punkt in Ihrem Buch. Da nehmen Sie den Leser ja ein bisschen in die Mangel. Sie sagen ja Betroffenheit, Wiedergutmachungsspenden, ethischer Konsum, das reicht alles nicht. Aber es ist doch zumindest ein Anfang, oder wie sehen Sie das?

SL: Es ist ein Anfang aber es hat glaube ich wenig Sinn wenn wir jetzt die Patenschaft für ein Kind in Lateinamerika übernehmen. Das ist zwar gut, aber es hat wenig Sinn, wenn wir ansonsten so weiterleben, wie bisher, und denken, das würde es richten. Das kann machen. Man kann auch bei der Misereor Kollekte oder an Weihnachten ein bisschen mehr in den Klingelbeutel geben. Das ist aber letztlich auch eine Form des versuchten Freikaufens und der Gewissenserleichterung, wenn wir gleichzeitig so weiterleben, wie wir es tun. Wenn wir Billigklamotten kaufen oder ich habe im Buch ja das Beispiel der Aluminiumpads fürs Kaffeetrinken. Die gabs vor zehn Jahren noch nicht. Mittlerweile werden zwei Milliarden davon im Jahr in Deutschland allein verbraucht. Zwei Milliarden! Wenn wir weiterhin unseren Coffee-to-go als Coffee-to-throw verwenden. In jeder Stunde 250.000 Kaffeebecher. Rund um die Uhr, auf 24 Stunden gerechnet. Wenn wir weiter so leben und denken, wir könnten durch Mülltrennung oder vielleicht mal dann bei irgendeinem Fairtrade Kleidungshandel ab und an mal einkaufen, das ist halt dann zu wenig. Ich möchte damit diese individuellen Versuche, sich irgendwie umweltgerechter oder sozialgerechter zu verhalten, nicht diskreditieren, aber ich glaube wir brauchen mehr. Wir brauchen Druck letztlich auf die politisch Verantwortlichen. Und der kommt nich von selbst, sondern hier müssen wir gemeinsam für etwas streiten.

ES: Und wir brauchen einen ganz grossen Wurf, wenn ich Sie richtig verstehe. Sie wollen eine ganz prinzipielle Veränderung unserer Strukturen. Und das heisst am Ende Wohlstandsverzicht, oder was heisst das?

SL: Also ich fürchte in den extrem reichen Gesellschaften des globalen Nordens, also beispielsweise Deutschlands, wird es auch zu Wohlstandseinbußen führen, das muss man sich klarmachen. Ich weiss, dass Verzicht nicht sexy klingt und sich nichts ist, womit man Wahlen gewinnt. Aber wenn wir uns vergegenwärtigen in welchen Verhältnissen wir leben, was für uns alltäglich normal ist, welche Lebensführungsmuster, welche Möglichkeiten, beispielsweise des Reisens. Mich heute oder morgen in einen Flieger zu setzen und irgendwo auf die Welt hinzufliegen. Ich versuche zum Beispiel zu zeigen, dass es ein gespaltenes Mobilitätsregime auf der Welt gibt. Wir haben alle Möglichkeiten uns unsere Urlaubsziele auszusuchen, irgendwie durchs Mittelmeer zu cruisen, und an allen Orten unsere Dreck zu hinterlassen. Und große Teile der Weltbevölkerung können sich nichtmal aus ihrem lokalen Umfeld wegbewegen, geschweige denn daran denken, in andere Weltregionen zu fahren. Also wir werden unsere Verhaltensweisen, unsere alltäglich gewohnten Lebensführungsmuster tatsächlich verändern müssen, wenn wir von uns aus etwas an den Verhältnissen ändern wollen. Ich glaube aber gleichzeitig, dass garnicht nur wir gefragt sind, der Wandel, der Druck auf Veränderung wird aus dem globalen Süden kommen. Da leben einfach mehrere Milliarden Menschen unter Verhältnissen, unter denen hier niemand leben wollen würde. Und nicht nur durch Fluchtmigration sondern auch durch politischen Druck wird von dem globalen Süden sehr viel Bewegung ausgehen, die uns dann im Guten oder im Schlechten dann zur Veränderung treiben wird. Wir würden besser jetzt schon damit anfangen.

ES: Ich habe mich gefragt, als ich Ihr Buch gelesen habe, ob der Druck auch von uns selber kommt. Sie sagen ja so eine Externalisierungsgesellschaft baut auf auf Wachstum, das ist eine Art Droge, die wir sozusagen liefern müssen. Nun stagnieren aber die Industrienationen. Und es gibt Anzeichen, dass wir vielleicht in einer sogenannten säkulären Stagnation leben, also auf viele Jahre, vielleicht Jahrzehnte, kein Wachstum haben. Was passiert dann? Glauben Sie, dass so eine Gesellschaft, die auf Ausbeutung aufbaut, wie sie sagen, implodiert? Dafür brauchen wir gar keine Zuwanderung aus dem Süden?

SL: Naja, diese Gesellschaft beruht seit 500 Jahren auf Ausbeutung. In unterschiedlichen politischen Formen. Und sie wird jetzt auch nicht von heute auf morgen zusammenbrechen.

ES: Aber es geht ja um das Wachstum.

SL: Aber sie beruht auch auf Wachstum und wir kommen jetzt halt aus einer historischen Phase nach dem zweiten Weltkrieg, fünf, sechs Jahrzehnte des im historischen Vergleich auch extremen Wachstums, was zu einer extremen Wohlstandssteigerung geführt hat. Und natürlich ist das “Problem”, dass wir diesen Wohlstand und das Wachstum als Voraussetzung im wahrsten Sinnte des Wortes eingepreist haben in unsere alltägliche Lebensführung und in das, was wir für normal halten. Wenn sich jetzt mal jemand hinstellen würde und sagen: Leute, wir müssen uns einschränken und zwar nicht nur nächstes Jahr, sondern auf Dauer. Wir müssen umstellen. Wir kömnnen nicht mehr damit rechnen, dass anderswo auf der Welt beispielsweise die Millionen Tonnen Soja produziert werden, die wir für Biotreibstoffe brauchen, oder für unseren Fleischkonsum oder für alle möglichen Produkte des alltäglichen Bedarfs. Wenn man darauf hinweist, dann ist es natürlich klar, dass es da Abwehrbewegungen gibt. Und auch Ängste, dass man nicht so weiterleben können wird wie bislang. Das wird zu wirklich, glaube ich, massiven Veränderungen führen. Und das wir für die nicht offen sind, ist naheliegend.

ES: Sie schreiben, die Externalisierung heisst zwei Geschichten zu erzählen: die des Unglücks der einen und die des Glücks der anderen. An der Stelle habe ich mich gefragt, ob man die “Täter” und die “Opfer” unseres Systems, dieser Externalisierung, wirklich auf Länder beschränken kann. Also die, die Glück haben, sitzen ja in den Entwicklungs- und Schwellenländern selber durch einen wachsenden Mittelstand.

SL: Klar, kann man nicht so einfach. Ich versuche zwar einerseits plakativ zu argumentieren, und ich glaube im Kern stimmt es auch, dass die reichen Gesellschaften des globalen Nordens, auch die im Schnitt reichen Gesellschaften des globalen Nordens sind. Es lässt sich zeigen, dass noch die ärmste Person in Norwegen reicher ist, vom pro Kopf Einkommen, als 90 % der Weltbevölkerung. Die reichen Gesellschaften sind nicht umsonst reich, sondern weil sie lange Zeit von Zulieferungen, von Ressourcen, von Arbeit und von der Aufnahme ihres Mülls und ihrer Umweltschäden durch Dritte haben leben können. Natürlich muss man dann differenzieren. Wir haben abgestufte Externalisierungsverhältnisse. Wir haben auch in den großen Ländern des globalen Südens, in China, in Indien, Mittelschichten, die so leben wollen, wie wir. Und die natürlich auch die Kosten ihrer Lebensführung externalisieren. Wir haben dort immernoch sehr große Mehrheiten, die weit entfernt sind von den Lebensmöglichkeiten und dem Lebensstandard, den wir hier haben.

ES: Aber sie wollen dahin. Ich habe mich ein bisschen gefragt, wenn das passiert, was sie sich wünschen. Ja, wenn wir wirklich hier unsere Lebensverhältnisse ändern, ob dann nicht die anderen die armen Leute ausbeuten, nämlich die, die in den Ländern selber sitzen.

SL: Also ich glaube wir haben alle solche Befürchtungen. Ja, oder was passiert wenn wir nicht mehr billig Textilien produzieren lassen in Bangladesch, dann werden die Leute arbeitslos. Wir haben erst die gesamten lokalen Ökonomien dort zerstört. Man könnte auch dort lokale Ökonomien aufbauen, die sozusagen selbsterhaltend sind, ohne dass man für den Weltmarkt billige T-Shirts produziert. Wir retten uns in solche Vorstellungen. Wenn wir’s nicht machen, beuten dann nicht andere aus? Möglicherweise. Ich glaube zwar nicht, dass es sich dann eins zu eins ersetzen lässt. Wir haben eine lange Erfahrung in der Ausbeutung. Wir machen das ziemlich perfekt. Wir haben es verrechtlicht über das Welthandelsregime. Ja, wir beziehen uns sogar darauf, dass das alles rechtens ist und dass wir den anderen auch die Möglichkeiten geben, des Freihandels. Unter gegebenen Machtverhältnissen auf der Welt ist aber Freihandel für uns sehr viel wertvoller als für irgendeine zentralafrikanische Ökonomie. Das heisst, ich glaube wir behelfen uns sehr oft mit der Vorstellung: Naja, es geht entweder nicht anders. Oder: wenn wir uns verändern, dann gibt es ganz viele Trittbrettfahrer die aufsteigen und sich nicht verändern. Ich glaube, wir kommen nicht drumrum, von uns auszugehen. Und nicht nur individuell, sondern kollektiv in dieser Gesellschaft uns zu überlegen: Wie könnten politische Verhältnisse verändert werden. Ich glaube alles andere ist Augenwischerei.

ES: Und haben Sie da noch einen Ansatz für die vielen Zuschauer und Zuhörer hier am Stand. Also wir haben nun wirklich ein miliares Problem besprochen, das sehr tiefgreifend ist. Wie kommen wir da raus? Es gibt kein Patentrezept, deswegen sitzen wir nicht hier. Aber vielleicht gibt es einen ersten Schritt, den Sie nennen könnten.

SL: Ich weiss nicht. Erste Schritte sind glaube ich die genannten. Also mit dem eigenen Kaffebecher ins Cafe gehen und sich den Kaffee mitnehmen. Oder vielleicht, da wo man angekommen ist sich einen Kaffee zu brauen, und ohne Aluminiumpad. Aber ich glaube, worum es wirklich geht, ist, ich habe das angedeutet, dass wir uns politisieren müssen. Wir müssen diese Frage zu einer politischen machen. Und wie wir handeln gegebenenfalls allenfalls politisch, wenn etwas vor unserer Haustüre passiert. Es soll eine Stromtrasse gebaut werden. Dann gehen wir auf die Straße und werden ganze Teilbevölkerungen in größeren Städten mobil. Ja, oder dritte Startbahn, vierte, fünfte, in Frankfurt oder München. Ja, dann gibt es lokale Aufregung. Aber wir regen uns natürlich nicht darüber auf, dass eine vierte Startbahn in Kalkutta für die Leute das geringste Übel wäre. Von daher müssen wir uns auch die Probleme und die Not Dritter und Vierter zu eigen machen. Und wir müssen hier dafür streiten. Und wir müssen politischen Druck aufbauen. Und das geht letztlich nur durch kollektives Handeln, durch die Aktivität in politischen Institutionen. Oder, wie jetzt beispielsweise bei TTIP, niemand weiss genau, was in TTIP drinsteckt und drinsteht. Aber jeder ahnt: naja, das ist die nächste Runde in der Ökonomisierung der Gesellschaft. Die nächste Runde in der Ökonomisierung des Freihandels. Und es kann irgendwie auf Dauer nicht gutgehen. Wir müssen gegen solche Verhältnisse politisch streiten. Ich glaube da führt kein Weg daran vorbei. Man muss sich politisieren.

ES: Wir brauchen politischen Druck, sagt der Soziologe Stephan Lessenich. Wir brauchen diesen politischen Druck in unserer Kohlenstoff- und Grenzsicherungsdemokratie. Erschienen ist sein Buch ‘Neben uns die Sintflut - Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis’ im Hanser Verlag. Und wenn Sie jetzt Interesse an diesem Interview und vor allem an diesem Buch gefunden haben, liebe Zuschauer, dann rate ich Ihnen auch nochmal auf unsere Seite zu gehen: www.3sat.de Dort können Sie dieses Interview und viele andere nochmal nachhören. Und ich bedanke mich sehr herzlich bei meinem Gast, Prof. Stephan Lessenich von der Münchner Universität LMU. Vielen Dank, dass Sie hier waren.

SL: Ich danke Ihnen.