Die Kultur der Reparatur und ihre reparaturbedürftige Sprache

Die aktive Kultivierung von Reparaturen als Serum gegen die wortwörtlich toxischen Auswirkungen der Wegwerfgesellschaft macht nicht erst seit Wolfgang Heckls Buch Sinn. Zunehmend wird auch die zwischenmenschliche Dimension von einer Werterhaltungskultur als Gegenkraft zum kulturdegenerativen Wertschöpfungsimperativ der gängigen Ökonomietheorien greifbar. So schreibt Prof. Heufler, dass bereits “Kinder zu ihren Spielsachen Beziehungen auf[bauen] [.. und] Da viele Produkte heute nicht mehr [reparierbar] sind, sondern als Kurzzeit- oder Wegwerfprodukte konzipiert werden, bleibt nur ein deprimierendes Entsorgen übrig. Der Versuch einen ‘Bruch zu kitten’ und damit ein bestehendes Problem zu lösen, ist von vornherein unmöglich und ein für das Kind wichtiger Lernprozess wird somit verhindert”. Sollte sich zeigen, dass diese fundamentale Verhinderung der individuellen Objektbeziehung und -pflege sich auch im kollektiven Beziehungsverlust zur Natur als Lebensgrundlage menschlicher Existenz äußert, können auch aktuelle Trends hin zu maschinellem Leben (künstliche Intelligenz) und der Suche nach erdähnlichen Planeten rational besser verstanden werden.

Aber was ist Kultur eigentlich?

Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt hierzu, Kultur wäre die “mithilfe von planmäßigen Techniken selbst geschaffene Welt der geistigen Güter, materiellen Kunstprodukte und sozialen Einrichtungen”.

Gemessen an dieser Definition, kann die soziale Mikroökonomie eines Reparatur Cafés etwa als kulturfähig bezeichnet werden?

Unbedingt, denn mithilfe von planmäßigen Reparaturtechniken wird dort eben der Erhalt und die Pflege von individuellen Beziehungen zu materiellen Produkten durch die Kunst der Reparatur in Kooperation aller Besucher und Betreuer gelebt. Reparatur Cafés sind lebendiger Ausdruck und verortbare Stätten der Kultur der Reparatur.

Und woran erkennt man eine lebende Kultur auf der individuellen Ebene?

Übernimmt man die ‘Planmäßigkeit’ einer Kultur der Reparatur in den eigenen Alltag, dann wird man vermutlich Änderungen im eigenen Konsumverhalten feststellen. Allgemein könnte man von der Aneignung und Integration von kulturspezifischen Verhaltensmustern im eigenen Alltag sprechen. Und das impliziert gegebenenfalls den Ersatz von bisherigen Verhaltensmustern. Und weil sich jedes Verhaltensmuster auf die eigene Erfahrungen auswirkt, sind neue Erfahrungsmuster durch neue Verhaltensmuster vorprogrammiert. Damit einhergehend stellt sich immer eine erlebbare Verfeinerung von dem eigenen Verständnis der jeweiligen Kultur ein. Das ist beim Besuch oder Wechsel in ein anderes Unternehmen genauso erfahrbar, wie beim Umzug in eine andere Stadt oder ein anderes Land. Mit dieser Verfeinerung der Erfahrung geht eine Verfeinerung des Verständnisses einher, die über kurz oder lang ihren Ausdruck in der Sprache sucht und finden wird.

Ist eine der Kultur der Reparatur gerechte Sprache mit klaren Begriffen erstrebenswert?

Ja, denn der Austausch von Gedanken und Ideen ist ein sozialer Aspekt der “selbst geschaffenen Welt der geistigen Güter”, auch einer Kultur der Reparatur. Und die Sprache ist notwendiges Mittel menschlichen Austauschs und Spiegel der abstrakten und konzeptionellen Ordnung jeder Kultur.

Um nun der Komplexität eines Themas, und technische Reparaturen sind alles andere als monoschematisch, gerecht zu werden wird es nicht zuletzt aus einem ganz praktischen Grund früher oder später zur Etablierung von neuen Begriffen und zur Reaktivierung oder Neudefinition von bestehenden Begriffen kommen. Und dieser Grund ist die Vermeidung von Missverständnissen beim innerkulturellen und zwischenmenschlichen Erfahrungsaustausch.

Jede Kultur hat einen kollektiven Erfahrungsschatz der sich auch in der Etablierung von Regeln normativ ausdrückt. Als Beispiel eine Regel aus dem Straßenverkehr: “Bei Niederschlag sind Schneeketten anzulegen.” Offensichtlich beansprucht diese Regel eine Allgemeingültigkeit, die in weiten Teilen nicht im Einklang mit der empirischen Erfahrung zu stehen scheint. Es mangelt dieser Regel konkret an Genauigkeit, denn ein Nieselregen im Sommer ist auch ein Niederschlag und die Regel “bei Nieselregen sind Schneeketten anzulegen” ergibt keinen Sinn. Diese Regel wird also unseren Erfahrungen in unserer Kultur der Individualmobilität nicht gerecht. Richtiger wäre: “Bei heftigem Schneefall sind auf diesem Streckenabschnitt Schneeketten anzulegen.” Deshalb bedarf es nicht gleich 421 verschiedener Worte für Schnee, aber ‘Niederschlag’ als Begriff ist hier einfach zu allgemein.

Eine ähnliche Situation ist in der Kultur der Reparatur zu beobachten wenn es um den Begriff der Reparierbarkeit geht.

Die Reparierbarkeit der materiellen Güter ist das Tor zur Kultur der Reparatur. Ihr Fehlen eine Verhinderung dieser Kultur.

Doch was ist diese Reparierbarkeit genau?

Die professionellen Reparateure sagen: “Ohne Ersatzteile gibt es keine wirtschaftliche Reparierbarkeit.” (Forderung 1a ,s.u.)

Einige Umweltschützer sagen: “Die Geräte müssen reparierbar konstruiert sein.” (Forderung 1b, s.u.)

Eine andere Gruppe meint: “Ohne Reparaturanleitung ist das Gerät nicht für jeden Menschen reparierbar.” (Forderung 4, s.u.)

Und zwei Beobachtungen im Reparatur Café sagen: “Kaputtes Display? Gehen Sie zu dem Herrn da drüben, der kann Ihnen dabei besser helfen als ich.” (Forderung 3, s.u.) oder “Moment, dazu muss ich Ihnen kurz das richtige Werkzeug holen.” (Forderung 2, s.u.)

Wer hat nun recht? Alle haben recht, denn der Begriff ‘Reparierbarkeit’ ist wie der ‘Niederschlag’ im Beispiel oben an dieser Stelle zu ungenau.

Interessanterweise bietet die deutsche Sprache (und bei anderen Sprachen ist das ähnlich) einen Ansatz zur Klärung der Situation. Nehmen wir die Begriffe ‘Reparierbarkeit’ und ‘Reparaturfähigkeit’ mit ihren abgeleiteten Adjektiven. Diese befinden sich momentan in synonymer Verwendung, woran dieser Artikel eine Verbesserung beabsichtigt.

Die ‘Reparaturfähigkeit’ ist offensichtlich eine Fähigkeit, und Fähigkeiten sind aktiv (“aktive Fähigkeit” und “Vermögen”, s. Bloch) und damit notwendigerweise subjektive Eigenschaften einer Person: die Fähigkeit zur Reparatur.

Davon unterscheidet sich die ‘Reparierbarkeit’ als passive Möglichkeit oder Potentialität des unbelebten Objekts als Gegenstand von Reparieren.

Es kann also bereits durch bestehende Begriffe aus dem Wortschatz der Sprache subjektive Reparaturfähigkeit von objektiver Reparierbarkeit unterschieden werden und diese Unterscheidung ist logisch und sinnvoll.

Denn nun wird klar, dass die professionellen Reparateure mit Ihrer Forderung nach Ersatzteilen zusammen mit der Forderung nach reparaturfreundlicher Gerätekonstruktion einiger Umweltschützern (Forderung 1a+1b, “konstruktive Reparierbarkeit”) und möglichst geringen Anforderungen an die hierfür notwendigen Werkzeuge und Ausstattung (Forderung 2, “ausstattungsmäßige Reparierbarkeit”) jeweils eine objektive Produktanforderung als materielle Eigenschaften artikulieren.

Und obwohl der Schwierigkeitsgrad einer Reparatur ursächlich auch auf die Konstruktion eines Geräts zurückgeführt werden kann, ist die praktisch relevante Auswirkung dieser Konstruktion ab einem gewissen Zeitpunkt unumkehrbar und es bleibt nur eine entsprechende Anforderung an die Reparierenden. Und diese bestimmt die subjektive Reparaturfähigkeit. Dies wird sowohl in der ‘natürlichen Selektion’ nach der Erfahrung und dem Vorwissen der betreuenden Person (Forderung 3, “angeeignete Reparaturfähigkeit”) im Reparatur Café deutlich, als auch in der Erschließung des (latenten) subjektiven Reparaturpotentials durch dafür geeignete, zusätzlich zum Produkt bereitgestellten Anleitungen und Videos, welche die angeeignete Reparaturfähigkeit ergänzen (Forderung 4, “zusätzliche/ergänzte Reparaturfähigkeit”).

Die vier Anforderungen an Reparaturfreundlichkeit

Zusammenfassend ergeben sich also vier verschiedene Anforderungen an Reparaturfreundlichkeit:

  1. konstruktive Reparierbarkeit (objektiv)

  2. ausstattungsmäßige Reparierbarkeit (objektiv)

  3. angeeignete Reparaturfähigkeit (subjektiv)

  4. ergänzte Reparaturfähigkeit (subjektiv)

Begriffliche Klarheit wird abgeleitet aus konzeptioneller Klarheit und beide haben nicht nur im informellen Austausch in einer ehrenamtlichen Reparaturinitiative ihre Vorteile. Klare Definitionen werden unabdingbar sobald sich in einer Gesellschaft normative Regeln in Form von Industriestandards und Gesetzen bilden wollen. Dabei sollten Anforderungen in Standards und Gesetzen nicht nur klar formuliert, sondern insbesondere auch unabhängig überprüfbar sein.

Deshalb wird in dem folgenden Aufsatz eine detaillierte Systematik zur allgemeinen Bewertung der Reparaturfreundlichkeit von technischen Produkten vorgestellt (engl.): PDF