Alanna Mitchell über ihr neues Buch Spinning Magnet

Das Magnetfeld verschiebt sich. Die Pole könnten springen. Es könnte ungemütlich werden.

Das Schutzschild der Erde vor der Strahlung der Sonne wird von innen angegriffen. Wir können das nicht aufhalten, aber wir sollten uns vorbereiten.

26.01.2018 - von Alanna Mitchell

An einem Tag im Jahr 1905 brachte der französische Geophysiker Bernard Brunhes einen Steinbrocken in sein Labor, den er bei Straßenarbeiten nahe des Dorfes Pont Farin ausgegraben hatte. Als er ihn auf seine magnetischen Eigenschaften untersuchte, war er sehr überrascht: Vor einigen Millionen Jahren waren die magnetischen Pole der Erde auf der gegenüberliegenden Seite des Planeten. Norden war Süden und Süden war Norden. Die Entdeckung zeugte von planetarem Chaos. Wissenschaftler konnten sich das nicht erklären.

Heute wissen wir, dass die Pole Hunderte Male gesprungen sind, zuletzt vor 780.000 Jahren. (Manchmal versuchen die Pole ihre Positionen auszutauschen, kehren aber dann zurück in ihre ursprüngliche Position. Dieser Vorgang wird Polaritätsexkursion genannt, und die letzte ereignete sich vor 40.000 Jahren) Wir wissen auch, dass die Auswirkungen auf die elektrische und elektronische Infrastruktur, welche der modernen Zivilisation zugrundeliegt, beim nächsten Polsprung schlimm ausfallen werden. Die Frage ist, wann das geschehen wird.

In den letzten Jahrzehnten haben Geophysiker durch Satellitenbilder und Berechnungen diese Frage versucht zu beantworten. Sie haben herausgefunden, wie sie tief in das Innere der Erde schauen können, an den Rand des geschmolzenen Metallkerns, wo das Erdmagnetfeld ständig erzeugt wird. Es hat sich herausgestellt, dass der Dipol - das zweipolige Magnetfeld, auf das unsere Kompasse ansprechen - von innen angegriffen wird.

Die neusten Satellitendaten vom Swarm Trio der European Space Agency, welche seit 2014 Messwerte liefern, zeigen, dass ein Kampf am Rand des Kerns tobt. Wie Splittergruppen, die eine Putsch planen, zweigen wirbelnde Bereiche aus geschmolzenem Eisen und Nickel Energie aus dem Dipol ab und werden dadurch stärker. Die Verschwörung in der südlichen Hemisphäre hat bereits die Oberhand über ein Fünftel der Erdoberfläche. Eine Revolution zeichnet sich ab.

Falls diese magnetischen Blocks genug Stärke ansammeln können und den Dipol weiter schwächen, dann werden sie den Nord- und Südpol dazu zwingen, die Plätze zu tauschen um die Oberhand zurückzuerlangen. Die Wissenschaftler können das nicht mit Sicherheit vorhersagen - der Dipol könnte die Aufständischen immernoch zurückdrängen. Aber sie können sagen, dass das Phänomen sich weiter verstärkt und die Möglichkeit eines beginnenden Polsprungs kann nicht mehr ausgeschlossen werden.

Es ist Zeit sich der Gefahren bewusst zu werden und Vorbereitungen zu treffen.

Das Magnetfeld der Erde schützt unseren Planeten vor gefährlicher Sonnenstrahlung und galaktischer Strahlung, ähnlich einem riesigen Schutzschild. Wenn die Pole ihre Position tauschen (oder es versuchen), wird das Schild geschwächt; die Wissenschaftler schätzen es könnte sich auf ein Zehntel seiner normalen Stärke abschwächen. Das Schutzschild könnte für Jahrhunderte geschwächt sein, während die Pole in Bewegung sind. Dies würde es schädlicher Strahlung erlauben währenddessen näher an die Erdoberfläche vorzudringen. Bereits heute haben die Veränderungen in der Erde das Magnetfeld über den Südatlantik so weit geschwächt, dass bei Satelliten durch die erhöhte Strahlung Speicherfehler festgestellt wurden.

Die Strahlung erreicht die Oberfläche derzeit noch nicht. Aber ab einem gewissen Zeitpunkt, zu dem das Magnetfeld ausreichend nachgelassen hat, könnte sich das ändern. Danier Baker ist Direktor des Labors für Athmosphären- und Raumphysik an der University of Colorado in Boulder und einer der weltweit führenden Experten für die Auswirkungen kosmischer Strahlung auf die Erde. Und er befürchtet, dass Teile der Erde unbewohnbar werden könnten während einem Polsprung. Die Gefahr: zerstörerische Teilchenströme von der Sonne, galaktische kosmische Strahlung, und starke UV-B Strahlen aus einer durch Strahlung beschädigten Ozonschicht, um nur einige der unsichtbaren Kräfte zu nennen, die Lebewesen verletzen oder töten könnten.

Wie schlimm könnte es werden? Wissenschaftler haben noch nie Zusammenhänge zwischen vergangenen Polsprüngen und Katasprophen wie Massenaussterben hergestellt. Aber die Welt von heute ist nicht die Welt von vor 780.000 Jahren, als die Pole zuletzt gesprungen sind. Und auch nicht die von vor 40.000 Jahren, als sie es versucht haben. Heute leben fast 7,6 Milliarden Menschen auf der Erde, doppelt soviele wie 1970. Wir haben die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre und der Ozeane durch unsere Aktivitäten drastisch verändert und dadurch das Lebenserhaltungssystem des Planeten eingeschränkt. Die Menschen haben riesige Städte gebaut, Industrien und Netzwerke von Straßen, welche den Zugang zu sicheren Rückzugsgebieten für viele andere Kreaturen einschränken. Wir haben vermutlich ein Drittel der bekannten Spezies an den Rand der Ausrottung getrieben und die Lebensräume vieler mehr gefährdet. Nimmt man kosmische und ultraviolette Strahlung in diese Rechnung mit auf, könnten die Konsequenzen für das Leben auf der Erde fatal sein.

Und die Gefahren sind nicht nur biologischer Art. Das weite cyber-elektrische Gespinst, welches inzwischen das zentrale Betriebssystem der modernen Gesellschaft geworden ist, ist in ernster Gefahr. Energiereiche Teilchen von der Sonne können die empfindliche Mikroelektronik der wachsenden Anzahl der die Erde umkreisenden Satelliten durchschlagen. Die satellitengestützte Zeitsysteme, welche die elektrischen Netze steuern, würden wahrscheinlich ausfallen. Die Transformatoren der elektrischen Energieversorgungsnetze könnten massenweise in Flammen aufgehen. Weil die Energieversorgungsnetze so eng miteinander verbunden sind, würden die Ausfälle sich über den ganzen Globus ausbreiten. Ein Dominoeffekt der Stromausfälle könnte ausgelöst werden und diese könnten über Jahrzehnte andauern.

Kein Licht. Keine Computer. Keine Mobiltelefone. Sogar die Toilettenspülung und das Auftanken des Autos wären nicht mehr möglich. Und damit würde alles nur anfangen.

Aber diese Gefahren werden von denen nur selten berücksichtigt, deren Aufgabe darin besteht den elektronischen Puls der Zivilisation zu schützen. Mehr Satelliten werden in den Orbit geschickt, mit immer stärker miniaturisierter (und deshalb anfälligerer) Elektronik. Das elektrische Energieversorgungsnetz wird jeden Tag weiter ausgebaut, trotz des höheren Risikos bei Sonnenstürmen.

Eine der besten Methoden zum Schutz von Satelliten und des Energieversorgungsnetzes vor Raumwetter ist die präzise Vorhersage des intensivsten Auftreffens von Raumenergie. Die Betreiber könnten daraufhin einen Satelliten oder Teile des Versorgungsnetzes zeitweise abschalten. Aber der Fortschritt bei der Vorhersage von schädlichem Raumwetter hat nicht mit der exponentiellen Vervielfachung der schädigbaren Technik mitgehalten. Und private Satellitenbetreiber legen die Informationen über die Widerstandsfähigkeit ihrer Elektronik hinsichtlich der Strahlung aus dem All nicht offen, eine Maßnahme die allen helfen würde, ihre Geräte zu schützen.

Wir haben die kritische Infrastruktur unserer Zivilisation während einer Zeit unbekümmert aufgebaut, während der das Magnetfeld der Erde relativ stark war. Insbesondere haben wir dabei nicht den Hang zum Chaos berücksichtigt, den dieses Feld hat. Das Feld ist nicht nur turbulent und unkontrollierbar, es ist zudem zum aktuellen Zeitpunkt unvorhersagbar. Es wird tun was es will, unabhängig davon was wir tun. Unsere Aufgabe besteht darin herauszufinden, wie uns das sowenig wie möglich ausmachen kann.


Dieser Aufsatz ist übernommen aus dem Buch “The Spinning Magnet: The Electromagnetic Force That Created the Modern World - and Could Destroy It”, von Alanna Mitchell, ISBN-13: 978-1101985168. Das Buch erschien am 30. Januar 2018 bei Dutton und ist in Deutschland auch hier erhältlich.

Alanna Mitchell ist eine preisgekrönte Wissenschaftsjournalistin und Autorin. Sie ist auch eine Drehbuchautorin und führt ihr eine-Frau-Stück “Sea Sick” basierend auf ihrem Buch mit dem selben Titel auf der ganzen Welt auf.

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Dies ist eine Übersetzung des englischen Originalartikels hier.

[Anm. der Red.: In diesem Interview mit Doug Miles, Januar 2018, gibt Alanna Mitchell an, dass keiner der von ihr gesprochenen Wissenschaftler einen kurzfristigen Polsprung innerhalb der nächsten Jahrzehnte als möglich annimmt. Eine Forschergruppe der University of California, Berkeley, hat in diesem Artikel aus 2014 hierzu einen anderen Standpunkt. Aktuelle Informationen zum Status des Erdmagnetfelds finden Sie hier. ]