Geplante Obsoleszenz - Hinter den Kulissen der Produktentwicklung

ist erschienen im Transcript Verlag, wird herausgegeben von Erik Poppe und Jörg Longmuß, und wurde gefördert von

der Hans-Böckler-Stiftung.

Hier aus der Einleitung:

Wird in unserer Gesellschaft für die Müllhalde produziert? Sind die Geräte, die wir kaufen, technischer Murks? Werden Verbraucher betrogen, indem ihnen haltbare Produkte vorgegaukelt werden, in die aber absichtlich Schwachstellen eingebaut sind, an denen sie schon bald kaputt gehen? Ist Obsoleszenz unnötig, wird aber mutwillig erzeugt? Zu diesen und ähnlichen Fragen gibt es seit Jahren eine gesellschaftliche Diskussion, die sich in vielen Veröffentlichungen, Medienbeiträgen und Veranstaltungen niederschlägt. Wissenschaft, Politik, Verbraucher, Medien und Hersteller befassen sich gleichermaßen mit dem Thema (z. B. Jaeger-Erben/Proske 2017). Es steht dabei der Vorwurf im Raum, dass Hersteller die mögliche Lebens- und Nutzungsdauer ihrer Produkte gezielt beschränken und somit eine frühzeitige Alterung oder einen geplanten Funktionsverlust der Produkte bewirken. Demnach werden einzelne technische, funktionale oder optische Produktmerkmale absichtlich so gestaltet, dass der mögliche Gebrauchswert des Produkts verkürzt wird, um den Verkauf von neuen Produkten zu steigern. Es werden zahlreiche Beispiele von offensichtlichen Produktfehlern präsentiert, mit denen eine Absicht der Hersteller belegt werden soll. Die Annahme ist, dass es sich bei solchen Produktfehlern nicht nur um bedauerliche Ausnahmen handelt, sondern um eine systematische Strategie von Unternehmen (siehe z. B. Schridde/Kreiß 2013). Diese Annahme schlug sich u. a. in einem Gesetz nieder, das 2015 in Frankreich in Kraft getreten ist und eine solche Unternehmensstrategie als Betrug unter Strafe stellt (Elodie 2015). In Italien wurden im Oktober 2018 erstmals die beiden Smartphone-Hersteller Apple und Samsung von den Wettbewerbsbehörden zu Millionenstrafen wegen geplanten Verschleißes verurteilt (AGCM 2018). Von anderen Autoren wird eine solche Absicht zumindest in der Tendenz zurückgewiesen. Sie verweisen u. a. darauf, dass viele Geräte entsorgt würden, obwohl sie noch funktionierten, dass die Haltbarkeit verschiedener Geräte in den letzten Jahren zugenommen habe (Oguchi/Daigu 2017) oder dass viele Kunden von Konsumgütern teilweise keine lange Lebensdauer erwarteten (Wieser 2017). Eine Perspektive fehlt in dieser Diskussion aber fast vollständig: die Sicht und die Erfahrungen der Akteure, die Produkte entwickeln, konstruieren und fertigen. Immer wieder wird von einem Produkt und seinen – wahrgenommenen – Schwächen auf eine dahinter liegende Absicht geschlossen. Die Einzigen aber, die wirklich wissen, warum Produkte die Eigenschaften haben, die – wie genau auch immer – von Anderen wahrgenommen werden, ist dieser Personenkreis. Deshalb braucht die Diskussion zu Obsoleszenz, genau wie darauf aufbauende Kampagnen und Maßnahmen, deren Sicht und Wissen um die zugrundeliegenden Prozesse und Entscheidungen. Sie sind die Einzigen, die eine eindeutige Auskunft darauf geben können, wie bei Produkten spezifische Eigenschaften und speziell ihre Schwächen und Ausfallrisiken zustande kommen.

[…]

Nur wer bei der Entwicklung schon an die Produktion und die Nutzung denkt und beim Einkauf von Material an die Entsorgung, kann für die ganzheitliche Qualität und die Umweltverträglichkeit seiner Produkte bürgen.

Inhalt

Geleitwort

Stefanie Haberkern, Johannes Katzan - 7

Einführung

Jörg Longmuß, Erik Poppe - 11

Zu Begriff und Theorie der geplanten Obsoleszenz

Erik Poppe, Jörg Longmuß - 17

Obsoleszenz als systemisches Problem – Ergebnisse einer Befragung von Akteuren der Produktentstehung

Jörg Longmuß, Erik Poppe, Wolfgang Neef - 39

Reparierbarkeit im Fokus

Jörg Longmuß, Christian Dworak - 73

Product Lifecycle Management als Strategie gegen vorzeitige Obsoleszenz

Kai Poppe, Erik Poppe - 97

Obsoleszenz als Managementthema

Björn Bartels, Erik Poppe - 123

Strategien, Perspektiven und Grenzen staatlicher Einflussnahme

Ines Oehme, Herwig Unnerstall, Susann Krause, Michael Golde - 143

Langzeitlagerung elektronischer Komponenten als Strategie gegen Obsoleszenz

Holger Krumme - 157

Eine Frage der Kultur? Gesellschaftliche Treiber von Obsoleszenz

Melanie Jaeger-Erben - 171

Autorinnen und Autoren - 191